Wenn der Körper die Notbremse zieht -Mentale Lektionen einer verletzung
- Britta Höpflinger
- 13. Mai
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 16. Mai
Kennst du das Gefühl, wenn dein Ehrgeiz deinen Körper überstimmt? In diesem Artikel teile ich meine letzte schmerzhafte Erfahrung und die wertvollen Erkenntnisse, die mir halfen, vom ergebnisfixierten zum prozessorientierten Sportler zu werden.

"Nur noch einmal. Diesen Boulder schaffe ich jetzt." Meine Finger greifen nach dem nächsten Griff, die Muskeln sind angespannt, der Fokus voll auf den nächsten Zug gerichtet. Ich ignoriere die körperlichen Signale, die mich schon die ganze Session lang warnen und mir eigentlich zeigen, dass es heute für mich nicht passt und ich es diesmal ruhiger angehen sollte! Ein dynamischer Zug, ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, der Überforderung – dann der stechende Schmerz und der Blick auf meinen verdrehten Fuß … In diesem Moment wusste ich: Das war's … schon wieder eine größere Fußverletzung, bereits die vierte!
Es ist dieser eine Moment, den jeder Sportler kennt: Du bist voll auf dein Ziel fokussiert. Willst unbedingt diesen Boulder schaffen, diese Route klettern oder deinen persönlichen Rekord brechen – und dann passiert es: Ein falscher Tritt, eine unachtsame Bewegung, und plötzlich meldet sich der Körper mit Schmerz. Als Sportmentaltrainerin berate ich täglich Sportler, wie sie ihre mentale Stärke verbessern können. In den letzten Wochen musste ich dennoch wieder lernen: Auch ich bin nicht immun gegen die Fallstricke, vor denen ich andere warne.
Heute teile ich mit dir meine persönliche Geschichte und die wertvollen Erkenntnisse aus meiner letzten gravierenden Fußverletzung – denn manchmal sind wir selbst die besten Lehrer für unsere wichtigsten Lektionen.
Der Unfall – mehr als nur Pech?
Vor einigen Wochen zog ich mir beim Bouldern in der Halle erneut eine schwere Fußverletzung zu – wie gesagt, bereits zum vierten Mal. Nach der ersten Frustration stellte ich mir selbst die entscheidende Frage: Kann das wirklich noch Zufall sein? Oder steckt dahinter ein Muster, das ich endlich erkennen sollte?
Mit diesem Gedanken begann meine Reise in die Selbstreflexion. Ich bin überzeugt: Verletzungen sind oft mehr als nur körperliche Ereignisse – sie sind Botschaften, die wir entschlüsseln können, wenn wir bereit sind, genau hinzuschauen.
Die Rückschau – was ist wirklich passiert?
Als ich den Tag meines Unfalls rekonstruierte, fielen mir sofort einige Warnzeichen auf:
Ich fühlte mich nicht zu 100% fit
Die Wochen zuvor waren von Stress geprägt
Mein Körper hatte mir bereits mehrfach subtile Signale gesendet
Trotzdem wählte ich viele schwere Boulder im Überhang („Ich muss ja trainieren!“)
Ich wollte nicht kürzertreten, obwohl ich spürte, dass es "nicht mein Tag" war
Doch vielleicht der wichtigste Punkt für mich: Mein Fokus lag vollständig im Außen – auf dem Schaffen des Boulders, auf dem Vergleich mit anderen, auf dem Ergebnis statt auf dem Prozess.

Prozess- versus Ergebnisorientierung
Diese Erkenntnis führte mich zurück zu einem Grundpfeiler des Mentaltrainings: Der Unterscheidung zwischen Prozess- und Ergebnisorientierung – ein fundamentales Konzept für jeden Sportler, egal ob Leistungssportler, ambitionierter Wettkampfsportler oder Hobbysportler.
Bei der Ergebnisorientierung sind meine Gedanken in die Zukunft gerichtet. Ich fixiere mich ausschließlich auf das Ziel – den geschafften Boulder, die gekletterte Route, die erreichte Zeit – wobei ich viele Faktoren gar nicht beeinflussen kann. Der Weg dorthin wird zur Nebensache, und ich blende wichtige Signale aus. Wird das Ziel nicht erreicht, entsteht ein Gefühl des Versagens, was enormen Druck erzeugt und mir die nötige Gelassenheit raubt.
Bei der Prozessorientierung steht der Prozess an sich im Vordergrund: Die Qualität der Bewegung, das Lernen, die Körperwahrnehmung, etc. Es geht darum, mit den Gedanken voll im Moment zu sein, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren! Ein weiterer wichtiger Faktor in der Prozessorientierung: Man betrachtet „Misserfolge" nicht als Scheitern, sondern als wertvolle Lernerfahrungen.
Die Ironie: Langfristig führt gerade die Prozessorientierung zu besseren Ergebnissen und schützt gleichzeitig vor Verletzungen. Zwar kann die Ergebnisorientierung entscheidend für eine längerfristige Motivation sein, doch das Hauptaugenmerk sollte immer auf der Prozessorientierung liegen. Beim Klettern, Fliegen oder jeder anderen Sportart erreiche ich meine beste Leistung nur, wenn ich vollkommen bei mir und im gegenwärtigen Moment bleibe.
Warum fällt es dann so schwer, prozessorientiert zu bleiben? Dieser Frage werde ich in einem separaten Blogartikel auf den Grund gehen. Zunächst aber zurück zu meiner persönlichen Reflexion.
Der Emotionsbeobachter – Muster erkennen
Ich merkte, dass auch ich immer wieder in die Ergebnisorientierung rutsche und dadurch den Fokus auf mich selbst verliere! Doch was kann ich dagegen tun?
Der wichtigste Schritt ist das Erkennen der sich wiederholenden Muster. Daher versuchte ich, mich in diesen Situationen in die Beobachterrolle zu versetzen und stellte mir einige wichtige Fragen:
Wie fühle ich mich in solchen Situationen genau?
Welche körperlichen Reaktionen zeigen sich?
Welche Gedanken kommen hoch?
Welches Handeln folgt daraus?
Diese Methode des "Emotionsbeobachters" half mir, einen wichtigen Zusammenhang zu erkennen: In Momenten, in denen ich mich mit anderen vergleiche und um jeden Preis erfolgreich sein will, bin ich nur noch im Außen, vergesse meine eigenen (Trainings)ziele, entferne mich durch die Außenfokussierung weit von meinem eigenen Leistungspotential und – noch viel schlimmer – schalte die Signale meines Körpers auf stumm!
Meine inneren Stimmen – wer hat das Sagen?
Bei der Analyse meiner inneren Gedanken wurde mir klar, welche Stimmen an diesem Tag die Führung übernommen hatten:
Die Performerin: "Ich muss zeigen, was ich kann!"
Die Egoistin: "Ich will besser sein als die anderen!"
Die Perfektionistin: "Es muss klappen, und zwar perfekt!"
Gleichzeitig fehlten wichtige Gegenspieler:
Die Wertschätzende: "Du hast heute schon viel geschafft."
Die Lernende: "Was kann ich aus diesem Boulder mitnehmen?"
Die Fürsorgliche: "Pass auf deinen Körper auf."
Es wurde Zeit, die Balance in mir wiederherzustellen und aus den verschiedenen Stimmen ein Team – mein inneres Team – zu formen.

Zurück zu den Werten – welche Sportlerin will ich sein?
Diese Verletzung zwang mich, mich wieder mit meinen eigentlichen Werten im Sport auseinanderzusetzen. Ich bin seit Jahren nicht mehr im Leistungssport aktiv, sondern bewege mich im ambitionierten Hobbysport. Hier geht es längst nicht mehr um die Höchstleistungen des Spitzensports. Trotzdem ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich in Vergleichs- und Konkurrenzmuster verfalle.
Die Ironie ist nicht zu übersehen: Ausgerechnet ich, die Mentaltrainerin, vergaß meine eigenen Grundsätze der Prozessorientierung und verfiel komplett der Ergebnisorientierung. Eine wertvolle Erinnerung daran, dass mentales Training ein lebenslanger Lernprozess ist – für uns alle.
Mein neuer Ansatz: FALLEN
Aus dieser Erfahrung habe ich für mich persönlich einen konkreten Ansatz entwickelt, ein Akronym, das mir künftig als Gedankenstütze dienen soll, wenn ich spüre, dass ich wieder in alte Muster verfalle:
F – Freude als Grundlage jeder sportlichen Aktivität
A – Agreement (Vereinbarung) mit mir selbst, den Fokus bei mir zu behalten
L – Lernen als primäres Ziel jeder Trainingseinheit
L – Leichtigkeit im Umgang mit Herausforderungen
E – Erfahrungen (positive) sammeln
N – Nette Zeit haben, unabhängig vom Ergebnis
Dieses FALLEN-Akronym ist mein persönlicher Anker, um mich an meine eigentlichen Werte im Sport zu erinnern.
Vielleicht hilft dir auch ein solches individuelles Akronym? Welche Werte sind für dich im Sport am wichtigsten, und wie könntest du sie in einem einprägsamen Wort zusammenfassen?

Praktische Strategien für den Alltag
Um diesen Ansatz umzusetzen, habe ich für mich ein paar konkrete Strategien festgelegt:
Vor jeder Sporteinheit bewusst machen: Was möchte ich heute? Was ist mein Ziel? Passt das Vorhaben zu meiner heutigen körperlichen und mentalen Verfassung?
Ins Hier und Jetzt zurückkommen mit bewusster Atmung oder der 5-4-3-2-1-Methode (5 Dinge sehen, 4 Dinge fühlen, 3 Dinge hören, 2 Dinge riechen, 1 Ding schmecken)
Mir bewusst machen: Der beste Trainingstag ist nicht der, an dem ich die größten Erfolge feiere, sondern der, an dem ich am meisten lerne - sei es technisch, mental oder in meiner Körperwahrnehmung!
Regelmäßige Pausen einlegen, um meinen Fokus zu überprüfen – bin ich noch im Prozessmodus oder bereits im Ergebnismodus?
Fazit und deine persönliche Reflexion
Verletzungen sind schmerzhafte Lehrer – aber oft die effektivsten. Sie zwingen uns innezuhalten und zu reflektieren. Meine Fußverletzung hat mir gezeigt, dass ich trotz meines Wissens als Mentaltrainerin nicht immun gegen typischen mentalen Fallen bin.
Die gute Nachricht: Jeder Rückschlag bietet die Chance, achtsamer zu werden und neue Strategien zu entwickeln. Das FALLEN-Konzept ist meine persönliche Antwort auf diese Herausforderung.
Ich lade dich ein, einen Moment innezuhalten und über deine eigene Sportpraxis nachzudenken:
Konzentrierst du dich eher auf das Ergebnis oder auf den Prozess?
Welche "inneren Stimmen" übernehmen bei dir häufig die Führung?
Welche Strategien helfen dir, im Hier und Jetzt zu bleiben?
Was bedeutet für dich persönlich ein "erfolgreicher Trainingstag"?
Nimm dir einen Moment Zeit und notiere deine Gedanken. Manchmal reicht schon diese kurze Reflexion, um achtsamer zu werden.
Ich freue mich, von deinen Erfahrungen zu hören.
In einem meiner nächsten Artikel werde ich mich ausführlicher mit dem Thema der Prozessorientierung beschäftigen. Ich werde zeigen, wie sie dich nicht nur vor Verletzungen schützt, sondern auch dafür sorgt, dass du deine Leistung besser abrufen kannst, wenn es darauf ankommt. Zudem werde ich dir Möglichkeiten aufzeigen, wie du dauerhaft prozessorientierter trainieren kannst.
Herzliche Grüße und gute Besserung allen Verletzten,
Britta

P.S. Du möchtest auch mental stärker werden?
Hier findest du weitere Artikel, die dich dabei unterstützen:
In meinen Workshops "Mentale Stärke für Sportler" arbeiten wir intensiv an deiner mentalen Stärke - praxisnah und in kleinen Gruppen. Bei Interesse nimm gerne Kontakt mit mir auf unter schau unter Workshops.
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